Zum 1. Juli 2022 ist die letzte der ursprünglich geplanten vier Stufen des gesetzlichen Mindestlohns in Kraft getreten. 10,45 Euro pro Stunde sind jetzt die Untergrenze. Und schon ab Oktober legt die Ampelkoalition noch eine Schippe drauf. Der Mindestlohn steigt dann um fast 15 % auf 12,00 Euro – mehr als die letzte Rentenerhöhung, mehr als die Tarifabschlüsse, mehr als die rekordverdächtige Inflation in Deutschland. Die schlechte Nachricht: Nicht jeder profitiert von dieser Steigerung. Denn das Mindestlohngesetz (MiLoG) sieht zahlreiche Ausnahmen vom Mindestlohn vor. Zu beachten ist vor allem § 22 MiLoG, der den persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes regelt.
Kein Mindestlohn für Azubis
In vielen Berufen gibt es zwar gute Ausbildungsvergütungen, die Höhe des Mindestlohns erreichen sie aber nur in wenigen Berufen wie Fluglotse oder Schiffsmechaniker. Dass der Ausbildungsbetrieb weniger zahlen muss, ist gerechtfertigt, denn er investiert ohnehin Zeit und Geld in die Ausbildung, ohne in großem Umfang von der Arbeitskraft zu profitieren.
Für Ausbildungsverhältnisse, die ab dem 1. Januar 2020 geschlossen wurden, gilt allerdings eine Mindestvergütung von 585 Euro (2022) bzw. 620 Euro (2023) im ersten Lehrjahr, die im zweiten bis vierten Lehrjahr um 18 %, 35 % und 40 % erhöht wird. Ab 2024 wird die Mindestausbildungsvergütung jeweils im November des Vorjahres vom Bundesbildungsministerium festgelegt.
- 22 Abs. 3 MiLoG sieht beim Mindestlohn Ausnahmen für alle „zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten“ vor. Dieser Begriff ist weit auszulegen. Gemeint sind nicht nur die im Berufsbildungsgesetz (BBiG) geregelten Ausbildungsgänge, sondern auch Ausbildungen an Fachschulen und Volontariate, weil auch sie dem Hauptzweck einer praktischen Ausbildung dienen. Umschülern und Menschen in einer beruflichen Fortbildung muss dagegen der Mindestlohn gezahlt werden, wenn sie nicht unter eine der anderen Ausnahmeregelungen fallen.
Unterschiede beim Praktikum
Praktikanten werden nach § 22 Abs. 1 MiLoG ausdrücklich Arbeitnehmern gleichgestellt, haben also Anspruch auf Mindestlohn. Mindestlohn-Ausnahmen gelten aber, wenn es eher um einen Ausbildungszweck als um eine Aushilfstätigkeit geht. Kein Mindestlohn wird deshalb geschuldet bei:
- Pflichtpraktika
- Orientierungspraktika bis drei Monate
- Praktika während der Berufsausbildung oder eines Studiums bis drei Monate
- Einstiegsqualifizierungen nach dem Dritten Sozialgesetzbuch (§ 54a SGB III)
- Berufsausbildungsvorbereitungen (§§ 68-70 BBiG)
Werden Minderjährige benachteiligt?
Wer unter das Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) fällt und keine abgeschlossene Berufsausbildung hat, bekommt keinen Mindestlohn. Das klingt ungerecht, der Grund für diese Ausnahme dient aber dem Schutz junger Menschen. Der Bezug von Mindestlohn für eine ungelernte Tätigkeit würde diese nämlich scheinbar attraktiver machen als eine wesentlich schlechter bezahlte Ausbildung. Das ist zu kurz gedacht, aber durch die Regelung in § 22 Abs. 2 MiLoG entsteht die Versuchung erst gar nicht.
Auch Langzeitarbeitslose fallen unter die Ausnahmen vom Mindestlohn. § 22 Abs. 4 MiLoG begrenzt die Ausnahmeregelung auf sechs Monate. Das ist ein Kompromiss, um einerseits die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu fördern und andererseits das mögliche Arbeitseinkommen dennoch nicht zu unattraktiv zu machen.
Rechtsstreit um Ehrenamt und Freiwilligendienste
Eigentlich versteht es sich von selbst – wer ehrenamtlich tätig ist, hat keinen Anspruch auf Entlohnung, also auch nicht auf den Mindestlohn (§ 22 Abs. 3 MiLoG). Nach dem Mindestlohngesetz ist auch ehrenamtlich tätig, wer einen Freiwilligendienst absolviert. Aber was genau ist ein Ehrenamt? Damit mussten sich schon Gerichte beschäftigen. Ein Ehrenamt kann nämlich ein verstecktes Arbeitsverhältnis sein, und die Klassifizierung als Ehrenamt dient nur der Umgehung des Mindestlohns. Steht eine innere Motivation, ein karitatives Element im Vordergrund, ist von einem Ehrenamt auszugehen, auch wenn dafür eine Aufwandsentschädigung gezahlt wird. Ein Ehrenamt ist jederzeit kündbar. Hat der Dienstherr dagegen ein Weisungsrecht, ist der „Ehrenamtler“ in den Betrieb eingegliedert und dort in erheblichem zeitlichem Umfang tätig, geht es ihm um Erzielung von Einkünften, dürfte es sich um ein Arbeitsverhältnis handeln. Die Konsequenz: keine Ausnahme nach § 22 Abs. 3 MiLoG, der Mindestlohn ist zu zahlen.
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